Das Projekt Wien-Stadlau ist eine Wohnhausanlage, die im Rahmen des sozialen Wohnbaus (gefördert mit öffentlichen Geldern) als Mietwohnungsbau errichtet wurde. Ein Wohnbauvorhaben, das unter den genau gleichen Rahmenbedingungen (und finanziellen Beschränkungen) wie alle sonstigen geförderten Wohnprojekte in Wien lief.
Das Projekt wurde 1988 aus einem „Gutachterverfahren“ ausgelobt, bei dem ökologisches Bauen, Sonnenenergienutzung und im Holzbau gesucht wurden.
Das Wettbewerbsprojekt umfaßt 19 Wohneinheiten, wobei die ARGE Architekten Reinberg-Treberspurg-Raith mit 10 Wohneinheiten und dem Gemeinschaftshaus beauftragt wurde, 9 weitere Wohnungen wurden an ein zweites Teilnehmerteam innerhalb des städtebaulichen Konzeptes vergeben. Wobei – sicherlich nicht unerheblich für das Gesamtergebnis – die Architekten nicht nur mit der Architektenleistung, sondern – als Generalplaner – auch mit der Statikerleistung und der Bauphysik beauftragt wurden.
Die grundsätzlichen Ideen und Konzepte waren:
Städtebau
Der Baubestand, großteils im Selbstbau errichtete vorstädtische „Zersiedelung“ wurde in seinem Charakter als durchaus sympathisch angesehen („Vorstadtpoesie“): es sollte auch die neue Siedlung etwas provisorisches einfaches erhalten und die vorhandene Kleinteiligkeit und „Durchlässigkeit“ erhalten bleiben.
Gleichzeitig soll das Vorhaben Anstoß zu einer Neubewertung des Siedlungsergebnisses sein (ohne eben als Fremdkörper zu erscheinen). Die zweifellos vorhandene Attraktivität des naturnahen Wohnens mit großzügigen Freiräumen, mit der Nähe zum Wasser (ehemalige Donauauen) und das einfache Bauen sollten mit einfachen Technologien und Materialien auf einer neuen qualitativen Ebene erhalten werden.
So wurden bewußt keine „städtischen Räume“ (Straßen, Platz) angeboten, sondern ein abwechslungsreiches und intensiv nutzbares Nebeneinander unterschiedlicher privater, halböffentlicher und öffentlicher naturbezogener Bereiche.
Ein vorhandener – aber im Zuge der Donauregulierung abgesunkener – Teich wurde wiederhergestellt und gemeinsames Zentrum der Anlage.
An diesem Teich gibt es auch das Gemeinschaftshaus, das sich zur sonstigen Anlage hin völlig öffnet und gemeinsam mit einer Terrasse und dem See den übergeordneten Gemeinschaftsbereich bildet.
Haustypen
Das Thema Holz plus passiver Solarnutzung konnte nicht direkt übernommen werden: diese beiden Themen waren zwar beide „aktuell, sind aber nicht direkt kombinierbar, denn die passive Solarnutzung benötigt Speichermasse (d.h. Gewicht) und diese bringt der reine Holzbau (als Leichtbau) nicht. Daher wurde eine Kombination aus Holzbau und Massivbau gewählt und jedes Material entsprechend seiner besonderen Qualität eingesetzt. Eine quasi U-förmige Schale (Trennwände zu den Nachbarn, sowie die Nord- und Mittelwand) sind massiv ausgebildet, ebenso wie die Grundebene und die Zwischendecke im nördlichen Sanitärbereich. Sozusagen gegengleich dazu sind die Südwände, das Dach und die Dicke zwischen Erdgeschoß und Obergeschoß vollständig aus Holz ausgebildet.
Dieses Konzept findet seine Entsprechung und Überlagerung in einer sehr strikten Zonierung in 4 Bereichen mit unterschiedlichen Ansprüchen in der Konstruktion und Nutzung:
- Eine Nordzone mit 2,25 Tiefe umfaßt alle Nebenräume, Versorgungseinrichtungen und die Erschließung. Außer dem Dach sind hier alle konstruktiven Bauteile massiv. Diese Nordzone ist in ihrem Volumen minimiert und so niedrig wie möglich gehalten und hat nur geringe Öffnungen, wodurch nicht nur die Baukosten in diesem Teil minimiert werden, sondern auch der Schattenwurf auf das nächst folgende Haus vermieden wird (niedrige Traufe).
- Eine Mittelzone als Wohnbereich (Tiefe 4 m) enthält alle Aufenthaltsräume, die ausnahmslos nach Süden orientiert sind. Diese Mittelzone kann auch baubiologisch weitestgehend sauber gehalten werden (von oben nach unten: Graseindeckung, Kork-Wärmedämmung, Holz-Dachkonstruktion, Schlafräume, Holzfußboden und massive Grundplatte. Innerhalb dieser Zone besteht innerhalb jeder Wohneinheit völlige Flexibilität für das Versetzen der nichttragenden Wände zwischen den Zimmern.
- Eine Südzone, als Übergangsbereich in den Garten. Diese Zone beinhaltet den Sonnenkollektor-Wintergarten sowie die Beschattungseinrichtungen (Vordach, Jalousien). Dieser Wintergarten ist – unabhängig vom Gebäude selbst – an das Haus drangestellt und erhält gemeinsam mit der Ausbaumöglichkeit durch Balkone, Pergolen, Markiesen und dgl. eine starke Individualisierung (die sich auch in den hier unterschiedlichen Farben ausdrückt).
- Ein Gartenbereich, der jedem Haus vorgelagert ist und gleichzeitig auch den Übergang zum Gemeinschaftsbereich darstellt, wobei dieser Übergang erst – durch die Bewohner selbst – in der Praxis definiert wird.
Prinzipiell wurde in der Planung ein Haustyp gewählt, der zunächst Offenheit für unterschiedliche Konstruktionsmaterialien bot und bei hoher „Standardisierung“ einerseits industrielles Bauen ermöglicht, andererseits aber höchste Flexibilität und billigste Installationsmöglichkeiten (nur ein „Schacht“) bietet.
Als Baumaterialien wurde für die Außenwände im Norden, Osten und Westen ein Betonhohlstein (ohne Stahlbewährung und bereits ausgetrocknet) – wie er sonst üblicherweise nur im Kellerbau verwendet wird – ausgewählt. Gedämmt werden die Wände mit Mineralfaser (die mit einfachster, hinterlüfteter Holzverschalung geschützt wird).
Die Mittelwand wurde aus Stahlbeton – ebenso wie die Decke in der nördlichen „Versorgungszone“ – ausgeführt. Nicht zuletzt ist diese Ausführung in einer Simulationsberechnung begründet, die nachwies, daß zur Solarenergiespeicherung ebenso wie als Überhitzungsschutz im Sommer diese „Masse“ notwendig ist. Sämtliche Holzkonstruktionen bestehen aus Fichtenholz. Sämtliche Außenfenster haben hochwärmedämmende Gläser (k=1,3 W/m2k). Die Wintergärten sind Holzkonstruktionen mit Isolierverglasung.
Prinzipiell dienen dabei die massiven Baustoffe als Speicher und dient das Holz als „Klimaregulator“ innerhalb der Wohnung.
Das Gemeinschaftshaus
Natürlich war es für die Planer ein gewisses Risiko, dieses großzügige Gemeinschaftshaus vorzusehen: nicht nur weil die gesamten Kosten für dieses Haus in den limitierten Wohnungskosten zusätzlich unterzubringen waren, sondern weil ja bis zu den behördlichen Genehmigungen die Nutzer unbekannt waren und damit auch die Akzeptanz eines derartigen Gebäudes.
Schlüsselpunkt für das gute Funktionieren ist wohl auch die großzügige „Öffnung“ dieses Gebäudes „für alle Bewohner“. Durch die ziemlich vollständige Verglasung der – mehr oder weniger – zu „allen“ Wohnungen hin orientierten Fassade macht das Gebäude voll und ständig „einsichtig“. Dieses Gebäude enthält einen Gemeinschaftsraum mit Galerie (genutzt für Feste, Kinderaufsicht, Feiern, usw.) mit Kochnische und Sanitäreinrichtungen sowie eine Sauna mit einem „Ruheraum“(der recht rege für Gymnastik und Fitnessübungen verwendet wird).
Das Solarkonzept
Entsprechend der Tatsache, daß die meiste Energie im Haushalt für die Heizung verbraucht wird, sind hier die effektivsten Maßnahmen für eine Reduzierung der Umweltbelastung erzielbar.
In diesem Sinne ist die gesamte Anlage zur Sonne orientiert. Nicht nur, um innerhalb der Heizsaison die gesamte Sonnenstrahlung ins Haus zu holen und thermisch zu nutzen, sondern ebenso auch, um dieses Licht für besondere Wohnqualitäten zu nützen. Sodaß schließlich dieser Aspekt – nämlich der Berücksichtigung der aktuellen Umweltsituation und der neuen Haltung gegenüber der Umwelt – sich auch als „Orientierung“ innerhalb des gesamten Gebäudes und für die gesamte Struktur der Siedlung nach außen darstellt.
Die gesamte Geometrie und Proportion der Baukörper sowie deren Ausrichtung und Zuordnung ist so konzipiert, daß eine gegenseitige Beschattung vermieden ist und jedes einzelne Gebäude ein Optimum an Sonneneinstrahlung im Winterhalbjahr – „ernten“ kann. Dieser Solarernte beruht im Prinzip auf direkter Solarnutzung (über die Südfenster direkt in die Räume, wo die Wärme gebraucht wird) und isolierter passiver Solarnutzung (die Wärme wird im Wintergarten gewonnen und von dort über ein automatisch gesteuertes temperaturabhängiges Ventil in die Wohnräume übertragen). Wobei wesentliche Voraussetzung für die Nutzung dieser Sonnenwärme die hohe Wärmedämmung und die schon beschriebene (Speicher)-Masse sind.
Besonders interessant war dabei für die Planer, daß sie hier diese Einrichtungen erstmals für zunächst noch anonyme Bewohner planten (in den bisherigen Projekten war die Sonnennutzung von Beginn weg Wunsch der beauftragten Nutzer). Es zeigt sich aber, daß die Bewohner – die aus sehr, sehr langen Wartelisten (ohne irgendwelche Öko-Wünsche) ausgewählt wurden – diese Wintergärten äußerst intensiv nutzen und sehr gut damit umgehen können (kein einziger der Wintergärten ist bisher zum „Abstellraum“ verkommen). Bestand also bisher der Verdacht, daß „diese Art zu Wohnen“ nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung wirklich ideal ist, so zeigt das beschriebene Beispiel in Wien-Stadlau, daß das Wohnen mit der Sonne sehr wohl auch für „jedermann“ seinen hohen Wert hat. Diese „Identifikation mit der Sonnennutzung“ geht sogar so weit, daß von den Bewohnern – im Zuge eines Neubaues am Nachbargrundstück – sehr heftig mit einem (über das derzeitig geltende Baurecht hinausgehende) „Recht auf die Sonne“ argumentiert wird.
Resümee
Insgesamt war für die Planer dieser Schritt im ökologischen Wohnbau von „Bewohnergruppen“ zum Rahmen des „ganz normalen öffentlich geförderten Wohnbaus“ natürlich ein sehr wesentlicher: das Argument, diese Konzepte seien nur für eine ganz spezielle Bewohnergruppe und kleine Minderheit geeignet, war damit ebenso gefallen wie das Argument, daß diese Bauweise teurer sei.
So ist dieses Projekt auch von seiten der Gemeinde Wien zu einem der meist gezeigten und publizierten Projekte geworden – was natürlich im Gegensatz zur Bescheidenheit dieses Volumens im Verhältnis zum Gesamtbauvolumen im Bereich Wien und Österreich steht.