Wien, Matzleindorferplatz: Bahnsteigdächer

345

Projekt 345

Vorbemerkung:

Entsprechend den österr. Klimazielen und Strategien steigt der Flächenbedarf für PV extrem an. Daher sollten alle Möglichkeiten für den Einsatz von PV auf-gezeigt und die Möglichkeiten der Solarstromgewinnung untersucht werden. Ins-besondere Orte, wo auch direkt der gewonnene Strom verbraucht wird und die PV Funktionen von Bauwerken übernehmen kann (Gebäude = integrierte PV).

Eine fast ideale Gelegenheit dafür sind Bahnsteigdächer, bei denen die PV gleichzeitig die Regen- und Sonnenschutzfunktion übernimmt. Allerdings gibt es bei dieser Gelegenheit für PV auch besondere Probleme zu lösen, wie Fahrt-wind, Sicherheit, Abrieb aus Oberleitung und Bremsen, besondere Erdungen bei Stromschlag usw.

Die Vorarbeiten wurden innerhalb des Kompetenzerweiterungsprojektes „smart(D)ER“, 2016-2020 (gefördert durch die FFG) gestartet. Darauf aufbauend konnten unterschiedliche Varianten des Einsatzes von Photovoltaik untersucht werden (aufgeständert, integriert als Dachhaut, als Dach selbst und in unter-schiedlichsten Sub-Varianten).

Unter Einbeziehung von PV-Produzenten, der ÖBB Immobilienmanagement und AIT Austrian Institute of Technology GmbH (DI. Mayr) sowie Nutzung von unter-schiedlichen Forschungsergebnissen konnten die gefundenen Lösungen in un-terschiedlichen Bahnsteigsituationen untersucht werden. Schließlich wurden zwei Musterbeispiele realisiert (Matzleinsdorfer Platz und Sierndorf) und unser Büro arbeitete gemeinsam mit ÖBB Immo ein Regelwerk für Mittelbahnsteige und Randbahnsteige aus.

Das Projekt:

Das PV-Bahnsteigdach Matzleinsdorfer Platz besteht aus 2 Teilen: über dem schmäleren Bahnsteig bilden die PV-Paneele zwei auskragende Flügeldächer. Über dem breiteren Bahnsteigteil wurde innerhalb konventioneller Dächer in der Mitte des Bahnsteiges ein durchgehendes PV-Oberlichtband ausgeführt. Dieses ist im Bereich des Stiegenaufganges mit weniger Zellen belegt, sodass auch der Helligkeitsunterschied zum Informationsträger wird. Das PV-Oberlicht im breiteren Bahnsteigbereich wurde in Kooperation mit Feuchtenhofer Architekten ZT GmbH ausgeführt, der auch die Gesamtplanung des Bahnhofs innehatte. Die Belegung der Glaspaneele mit den PV Zellen und deren Abstände wurde von den Architekten in Abstimmung mit dem Produzenten und dem Auftraggeber definiert.

Da die PV-Elemente eine relativ geringe Neigung haben, war es wichtig, dass die PV-Elemente keine horizontale Teilung aufweisen und aus jeweils nur einem Paneel bestehen. Diese PV-Anlage dient als Teststand für den weiteren Einsatz von PV-Bahnsteigdächern. Die Paneele haben insgesamt eine Leistung von 58,7KWp (pro Jahr 45.000 bis 50.000 kWh/a).

BIPV

Es wurden im Bereich der zweiflügeligen PV Dächer bifaziale, monokristalline PV Module verwendet. Das Glasdach besteht aus insgesamt 46 Paneelen mit 3,18 x 1,16 Meter und 2 Paneelen mit 2,66 x 1,16 Meter; das Oberlicht aus 95 Paneelen mit 2,4 x 1,06 und 19 Paneelen mit 2,4 x 0,07 bis 1,062 Meter. Als Wechselrichter kam ein System von Solar Edge mit Leistungsoptimierern zum Einsatz. Sämtlichen Paneelen ist ein Optimizer zugeordnet.

Energetisches Gesamtkonzept

Die PV Dächer sind Bestandteil des Energiekonzeptes der ÖBB. Sie sind Teil der eingesetzten umweltfreundlichen Stromverwendung und in das Energie Management System der ÖBB eingebunden. Das im Bahnsteigdach integrierte PV System wurde an die 50Hz Niederspannungsverteilanlage direkt unter der Bahnsteiganlage eingebunden.

Durch den Stromverbrauch der gesamten Stellwerkanlagen bei diesem hoch frequentierten Bahnhof und auch dem sonstigen hier hohen Stromverbrauch für Belichtung, die Züge, Aufzüge etc. ist ein hoher direkter Eigenverbrauch vor Ort gegeben.

Umweltverträglichkeit

Die dreifachen Glaselemente sind auf Klemmleisten (Reico) aufgesetzt und demontabel. Auch die Stahlträger und die Blechschwerter auf denen die Klemmleiste sitzen sind verschraubte Konstruktionen die einfach zu zerlegen und wiederzuverwerten sind.

Der spezielle Silikonverbund des Herstellers der Paneele (Sunovation) erlaubt eine mechanische Trennung der Einzelglasscheiben die sich wie normale Glasscheiben in den Materialkreislauf zurückführen lassen. Theoretisch können auch das Kupfer und das Silizium der Zellen getrennt und verwertet werden.

Es ist dabei zu beachten, dass gegenüber konventionellen Bahnsteigdächern sehr viel Material eingespart werden kann, da ja in diesem Fall das Glaspaneel sowohl die Untersicht bildet als auch die Tragkonstruktion und wasserdichte Oberfläche. Daher ist dieser Einsatz im Hinblick auf den Materialeinsatz sehr viel umweltfreundlicher als die üblichen Konstruktionen. Mit Ausnahme der PV Zellen stammen alle Bestandteile der Paneele aus europäischer Produktion.

Die Paneele schützen die Nutzer vor der direkten Sonnenbestrahlung im Sommer und vor Regen und Schnee im Winter. Die Paneele sind Semitransparent, d.h. es dringt noch Restlicht der Sonne bis zum Bahnsteig, welcher den Bedarf an künstlicher Beleuchtung am Bahnsteig im Vergleich zu herkömmlichen Bahnsteigdächern reduziert.

Es wurde ein blendungsarmes Glas verwendet.

Kosteneffizienz

Da der PV-Einsatz als Standard-Bahnsteigdach zu geringeren Kosten als für ähnliche bisherige Dächer führt ergibt sich für diese Art des PV-Einsatz ein enorm hohes Flächenpotenzial. Es kann also bei geringeren Errichtungskosten über Jahre hinweg Energie gewonnen werden.

Architektonische Qualität

Die Bahnsteidächer verstehen sich als Zeichen für die Umweltfreundlichkeit des Reisens mit der Bahn. Die Zellenbelegung wurde so gewählt, dass ein ausreichender Sonnenschutz gegeben ist aber dennoch der Bahnsteig gut belichtet wird. Im Falle des breiteren Bahnsteiges wurde statt den ursprünglich vorgesehenen einzelnen Oberlichten eine Oberlichtband ausgeführt und in diesem er-folgte die PV Belegung so, dass mehr Tageslicht in der Bahnsteigmitte gegeben ist als zuvor mit den einzelnen Oberlichten gegeben gewesen wäre. Die unter-schiedliche, geringere Belegung im Stiegenbereich führt dank des dort gegebenen reicheren Tageslichtes den Bahnsteignutzer zu dieser vertikalen Erschließung bzw. zum Ausgang.

Die Hälse zu den Oberlichtern wurden spiegelnd ausgeführt wodurch das Tages-licht besser geleitet wird und die Schatten der PV Zellen ein interessantes Licht-spiel erzeugen.

Die schmalen Blechträger auf denen die PV Paneele aufgesetzt sind verleihen – gemeinsam mit dem auch dort sich abbildenten Schatten – eine besondere Filigranität.

Dank bifazialer PV im Bereich der zweiflügeligen PV Dächer ist das Thema Solarzellen und Stromerzeugung für den Bahnsteigbesucher gut verständlich (sichtbare Solarzellen an der Untersicht).

Die PV Paneele sind hier nicht nur in ein Bauwerk integriert, sondern sie sind das Bauwerk selbst: sie übernehmen multifunktional alle Dachfunktionen und die Stromproduktion.

Kommunikation

Der hochfrequentierte Bahnhof Matzleinsdorfer Platz bietet außerordentliche Kommunikationsmöglichkeit für die Idee der solaren Stromnutzung. Nicht nur die Bahnsteignutzer, sondern auch die Nutzer der Fernzüge die durch diesen Bahn-hof rollen und auch die Benützer der Straße (Gürtel) können den Einsatz der PV gut erleben. So kann diese Technologie für eine sehr hohe Zahl an Menschen täglich erlebbar sein. Dank der Stromnutzug der Bahn und der guten Einsehbarkeit der Zellen an der Untersicht besteht hier speziell gute Möglichkeit diese Technik an eine breite Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Projektnummer
345
Status
Bauten
Planung
Georg W. Reinberg in Kooperation mit Christoph Feuchtenhofer Bereich Oberlichten), Marina Glaser, Daniel Civegna
Auftraggeber:in
ÖBB Immo
Ausführung
Planungsbeginn
2020
Baubeginn
2021
Fertigstellung
04.2022

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